Gartenstadtbewegung und Ludwigshafener Gartenstadt

von Peter Ruf

Das rasante Wachstum der Stadt Ludwigshafen seit der Gründung der BASF führte bald zu einem drängenden Wohnraumbedarf. Im Stadtteil Nord entstanden schnell und unkontrolliert aufgebaute Mietskasernen, in denen die Wohnverhältnisse im Grunde menschenunwürdig waren. Die Bauherren waren zum größten Teil Privatleute, die hauptsächlich an der Rentabilität ihrer Häuser interessiert waren, das Ergebnis war gerade für die ärmeren Schichten der Bevölkerung unerträgliche Wohnverhältnisse bei überteuerten Mieten.

Doch spätestens zum Ende des 19. Jahrhunderts waren in allen Industriestaaten, besonders in England und Deutschland, auch die sozialen Aspekte des Wohnungsbaus bewusst geworden. Einen Ausweg aus der Misere versprach die Gartenstadtbewegung. Das Konzept zur Gartenstadt stammte aus England und wurde zum Ende des 19. Jahrhunderts von Ebenezer Howard entwickelt und propagiert. Seine „Gardencities“ sollten die Trennung von Stadt und Land aufheben und die infrastrukturellen Vorteile einer Großstadt mit der Lebensqualität des Lebens auf dem Land verbinden. Aber nicht nur die Wohnverhältnisse wollte Howard verbessern, er verfolgte damit auch sozialreformerische Pläne. Der Mietwohnungsbau mit seinem Ziel des privatkapitalistischen Spekulationsgewinnes sollte zurückgedrängt werden durch genossenschaftlich errichtete Wohnbezirke in einem gartenähnlichen Umfeld. Der Boden sollte Gemeinschaftseigentum bleiben und in Erbpacht vergeben werden, entscheiden de Aspekte waren die Mitbestimmung der Bewohner und lebenslanges, also eigentumsähnliches Mietrecht.

Die Gartenstadtbewegung fand auch in Deutschland schnell Anklang, 1902 wurde in Berlin die „Deutsche Gartenstadt Gesellschaft gegründet, welche als hauptsächliche Ziele verkündete:

  1. Städtebaulich sollen mit einer weiträumigen und niedrigen Bauweise der Gartenstädte gesunde Wohnungen geschaffen werden, die auch einen Zugang zu eigenem Garten einschließen.
  2. Nach genossenschaftlichem Prinzip gibt es ein Gemeineigentum an Grund und Boden. Der durch die Umwandlung von Ackerland in neugeschaffene Wohnfläche erzielte Wertzuwachs verbleibt in der Gemeinschaft und eine Bodenspekulation wird vermieden. Mieten werden nach dem Kostendeckungsprinzip erhoben und bleiben dauerhaft niedrig. Die Mieter sind zugleich Gemeinschaftsmitglieder und erhalten ein von Seiten der Gemeinschaft praktisch unkündbares Dauerwohnrecht.

Rechtliche Grundlage bot das Genossenschaftsgesetz von 1889, welches es erlaubte, Wohnbauten und Gemeinschaftseinrichtungen in Selbst- und Nachbarschaftshilfe zu erstellen. Erste Gartenstädte nach diesem Prinzip wurden schon vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland gebaut, Dresden-Hellerau und das Augsburger Thelottviertel gelten als die ersten Gartenstädte in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt hatte man aber die eher utopische Vorstellung von einer autarken und autonomen Gartenstadt abseits der Großstädte schon aufgegeben. Realistischer waren kleinere Siedlungsanlagen in der Form von Gartenvorstädten und Wohnsiedlungen. Dazu trug auch der Erste Weltkrieg bei, der viele Pläne und Bauvorhaben aufhielt. Nach dem Krieg erforderten die Versorgungsengpässe und die Wohnungsnot eine schnelle und pragmatische Umsetzung der Gartenstadtidee ohne allzu hoch angesetzte sozialreformerische Zielvorstellung. Benötigt war günstiger Wohnraum mit der Möglichkeit zur Selbstversorgung. Die Häuser sollten ausreichend große Gartengrundstücke besitzen, um es den Bewohnern zu ermöglichen, selbst Obst und Gemüse anzubauen und Kleintierzucht betreiben zu können.

Dies war dann auch das Konzept der Ludwigshafener Gartenstadt, die sich in zwei Phasen vor und nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte. 1909 hatten sechzehn Ludwigshafener Bürger die „Baugenossenschaft Gartenstadt Ludwigshafen am Rhein“ gegründet, an die nach dem Stadtratsbeschluss vom 24. 4. 1913 ein Gelände in der Gemarkung Hochfeld an der Wachenheimer und Maudacher Straße vergeben wurde. Hier waren schon ab 1901 einige Einfamilienhäuser gebaut worden, allerdings ohne Bezug zur Gartenstadtidee. Das Hochfeld liegt unmittelbar am Hochufer des Rheins zwischen den Altrheinschlingen des Maudacher Bruchs und der Blies. Es war zur Kiesgewinnung für den Bau des Ludwigshafener Rangierbahnhofs um 1900 teilweise ausgebaggert und trockengelegt worden und bot nun ausreichend Raum für eine Siedlungsbebauung. Die Baugenossenschaft schrieb einen Architektenwettbewerb aus, den das renommierte Ludwigshafener Architektenbüro Schuler und Latteyer für sich entschied. Schon die Ausschreibung bewies, dass man für die Ludwigshafener Gartenstadt hohe Qualitätsansprüche festsetzte.

Im Frühjahr 1914 wurde mit dem Bau begonnen und im gleichen Jahr schon 26 Häuser fertig gestellt, bis der Kriegsausbruch die Bautätigkeit unterbrach. Für die ersten Bewohner waren je nach Hausgröße 26 bis 46 Mark Miete zu zahlen, eingeschlossen war die Nutzung eines Hausgartens von durchschnittlich 150 m² Fläche.
Der Neubeginn nach Kriegsende wurde durch eine Schenkung des Ludwigshafener Fabrikanten, Stadtrat und Reichtagsabgeordneten Dr. Friedrich Raschig bestimmt. Er hatte der Stadt 1926 eine Schenkung von etwa 200.000 m² Gelände für etwa 400 Baustellen auf dem Hochfeld in Aussicht gestellt, „die in erster Linie unbemittelten, aus dem Feld heimkehrenden Kriegern behufs Errichtung eines eigenen Hauses zur Verfügung“ stehen sollten. Auflage war, dass die Stadtverwaltung 150 000 m2 eigenes Gelände hinzufügen und weitere 100 000 m² ankaufen sollte. Die Stadt erfüllte die Forderungen und so wurden nach dem Krieg 300 neue Wohnungen errichtet, darunter 81 Häuser der Baugenossenschaft. Die Stadt unterstützte den Bau auch mit Bereitstellung von Baumaterialien, wo neben der Baustellen der Heimstättensiedlung und der Baugenossenschaft eine Selbsthilfesiedlung entstand. Für die Selbstbauhilfe wurden Zuschüsse bis zu 50 000 Mark je Einfamilienhaus eingezahlt.

Mit der Gründung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GAG übernahm diese ab 1920 den Weiterbau der Siedlung, zu ihren Bauten gehören auch der Rote und der Grüne Hof. Noch heute sind die drei Siedlungskerne der Gartenstadt erkennbar. Im Westen an der Maudacher Straße die Siedlung der Baugenossenschaft Gartenstadt mit ihren Reihenhäusern, östlich davon die Heimstättensiedlung der GAG mit dem Roten und Grünen Hof als markante Bauwerke und nördlich davon die Raschigsiedlung. Die genossenschaftlich organisierte beziehungsweise auf Selbst- und Nachbarschaftshilfe begründete Bauweise half dem Bau der Gartenstadt auch durch die wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Weimarer Republik. Schon 1923 lebten hier 4000 Bewohner. Die Gartenstadtidee in ihrer modifizierten Form erwies sich als lebensfähig, die Ludwigshafener Gartenstadt ist eine bemerkenswerte Mischung aus privater, genossenschaftlicher und kommunaler Initiative.

Als „Randsiedlung“ entstand nach einem in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelten Plan die heutige Niederfeldsiedlung im Norden der Gartenstadt. Im Frühjahr 1932 erfolgte der erste Spatenstich in der heutigen Schreberstraße. Auf dem 143 Hektar großen Gelände im ehemaligen Schwemmland des Rheins wurden bis 1938 450 Häuser in genossenschaftlicher Selbsthilfe errichtet, das Konzept der Gartenstadt wurde also beibehalten. Im Dritten Reich wurden die Baumaßnahmen propagandistisch als Eigenleistung der Nationalsozialisten ausgebeutet, die Siedlung wurde 1934 in „Adolf-Hitler-Siedlung“ umbenannt. 1939 wies sie eine Bevölkerung von 2792 Einwohnern auf. Die Ausstattung der Wohnungen war zunächst recht einfach, ohne Bad und WC, mit maximal 43 m² Wohnfläche je Familie, hatten aber ein 600 m2 großes Grundstück zur Selbstversorgung. 1945 erhielt die Niederfeldsiedlung ihren heutigen Namen und wurde in der Nachkriegszeit weiter ausgebaut, heute leben hier 3889 Einwohner in 1753 Wohnungen.